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Pressemitteilung des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration zum Fachgipfel Kindergesundheit

22.12.2022

22. Dezember 2022

Die Situation in den Kinderkliniken und Kinderarztpraxen ist derzeit deutschlandweit, aber auch in Baden-Württemberg stark angespannt. Grund dafür ist eine massive Zunahme von Infektionskrankheiten, insbesondere bei kleineren Kindern. Um gemeinsam Maßnahmen für die Verbesserung der Versorgung der kleinen Patientinnen und Patienten im stationären sowie ambulanten Bereich zu identifizieren, fand am Donnerstag (22. Dezember) ein Fachgipfel Kindergesundheit auf Einladung und unter Leitung von Sozial- und Gesundheitsminister Manne Lucha statt. Der Minister bekräftigte, dass die Pflegepersonaluntergren-zen an den Kinderkliniken in Baden-Württemberg auch weiterhin nicht eingehal-ten werden müssten. Außerdem werde man als Ergebnis des Gipfels konkrete, dringende Forderungen an den Bund formulieren. Auf Landesebene wolle man zusätzlich die Schulen und Kitas auffordern, nur in bestimmten Fällen ein ärztliches Attest zu verlangen, um hier die Kinderarztpraxen zu entlasten.

„Die Situation in den Kliniken und Arztpraxen ist derzeit extrem angespannt. Die Sorgen vieler Familien mit kleinen Kindern, aber auch des ärztlichen und pflege-rischen Personals nehmen wir sehr ernst“, sagte Sozial- und Gesundheitsminister Manne Lucha zum Auftakt des Gipfels. „Aus diesem Grund war es mir wich-tig, noch vor Weihnachten alle relevanten Akteure zu versammeln, um zu sehen, was von Seiten des Landes, des Bundes oder anderer Stellen kurzfristig möglich ist, um die Situation zu verbessern. Wir stehen in Baden-Württemberg als Ver-antwortungsgemeinschaft zusammen – das Land Seite an Seite mit seinen Partnern. Dieses Prinzip Verantwortungsgemeinschaft hat sich schon erfolgreich in der Corona-Pandemie bewährt. Gegenseitige Schuldzuweisungen helfen uns jetzt genau so wenig weiter, wie Daueralarmismus. Klar ist aber auch: Wir brau-chen eine grundlegende Reform des Gesundheitswesens. Dazu gehört auch, das Vergütungssystem für die Pädiatrie attraktiver zu gestalten, damit Kinder und Jugendliche auch weiterhin die bestmögliche Versorgung erhalten. Baden-Württemberg wird diesen vom Bund angestoßenen Prozess als Vorsitzland der Ge-sundheitsministerkonferenz ab 1. Januar des kommenden Jahres eng begleiten und nach Kräften vorantreiben.“

Die vom Bund initiierte Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung hatte erst vor kurzem ihre dritte Stellungnahme sowie Empfehlungen bekanntgegeben. Darin enthalten sind unter anderem auch Vorschläge, die eine Reform der Vergütung der Kinder- und Jugendmedizin mit-betreffen.

„Nun gilt es zwischen Bund und Ländern zu prüfen, ob bei Umsetzung der Empfehlungen der Regierungskommission, die Vergütung der Pädiatrie attraktiv genug ist, um entsprechende Betten vorzuhalten“, so Minister Lucha. „Gegebenen-falls müssen vom Bund weitere Maßnahmen eingeleitet werden. Es müssen zu-dem Entscheidungen getroffen werden, die der Diskrepanz zwischen dem Bedarf in der Kinder- und Jugendmedizin und vorhandenen Behandlungskapazitäten begegnen.“

Neben der stationären Versorgung der Kinder und Jugendlichen müssen auch die Rahmenbedingungen in der ambulanten Versorgung in den Blick genommen werden. Die Vorgaben des Fünften Buches Sozialgesetzbuch sowie in den nach-geordneten Rechtsgrundlagen müssen so gestaltet werden, dass für die jungen Ärztinnen und Ärzte die Niederlassung in eigener Praxis oder in Versorgungs-zentren zusammen mit anderen Leistungserbringenden attraktiver werde. „Baden-Württemberg ist hier mit seinen Primärversorgungszentren oder ambulant-stationären Gesundheitszentren Vorreiter“, sagte Lucha. „Die Akteure stehen bereit, es bedarf nun noch der Schaffung der notwendigen Rechtsgrundlagen, um in Zukunft die ambulante Versorgung – vor allem in der kindermedizinischen Versorgung – sicherzustellen.“

Seitens des Bundes müsse zudem geprüft werden, welche möglicherweise vom Pflegebudget ausgehenden Fehlanreize gemindert werden können. So liege es zum Beispiel nicht in der Natur des Pflegebudgets, dass es Prozessinnovationen fördere, die das Pflegepersonal entlasten könne. Auch müsse geprüft werden, wie ein besserer Personalschlüssel der Pflegenden erreicht werden könne. Auch dafür werde sich Baden-Württemberg im kommenden Jahr als GMK-Vorsitzland einbringen.

Ein weiteres Problem besteht im Bereich der Arzneimittelversorgung. Hier sehen wir bei gängigen Arzneimitteln, die bei Atemwegsinfektionen von Kindern eingesetzt werden, gravierende Engpässe. Aufgrund der sich zuspitzenden Situation hat sich Frau Ministerialdirektorin Dirks an Frau Staatssekretärin Dr. Draheim im Bundesministerium für Gesundheit mit der Bitte gewandt, umgehend geeignete Abhilfemaßnahmen zu ergreifen und die aus ihrer Sicht wichtigsten Ansatzpunkte für eine kurzfristige Verbesserung der Versorgungssituation aufgezeigt.

Minister Lucha bekräftigte abschließend, dass man sich in dieser Runde im kommenden Jahr noch vor der Sommerpause austauschen und auf einem Fachsymposium in Präsenz eine Zwischenbilanz ziehen werde.

Zitate von Teilnehmenden des Fachgipfels

Dr. med. Wolfgang Miller
Präsident der Landesärztekammer Baden-Württemberg:

„Überfüllte Notaufnahmen, Krankenhausstationen und Praxen, Personalmangel, Planungsunsicherheiten, Bürokratie und Unterfinanzierung bringen uns Ärztinnen und Ärzte ans Limit. Der heutige Fachgipfel ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wir sind es gerade den Schwächsten – nämlich unseren kleinen Patienten – schuldig, dass wir die Situation verbessern. Die Kammer wird sich bestmöglich einbringen und gerade durch Informationsweitergabe und den intelligenten Ab-gleich von Bedarf und Angebot ihren Beitrag hierfür leisten.“

Matthias Einwag
Hauptgeschäftsführer Baden-Württembergische Krankenhausgesellschaft:

„An der aktuellen Situation in den Kinderkliniken wird sehr deutlich, dass die Krankenhäuser nach vielen Jahren der Unterfinanzierung und zweieinhalb Jahren Corona kaum noch Reserven haben. Kurzfristig müssen und werden wir al-les dafür tun, dass in den nächsten Wochen die Notfallversorgung in den Kran-kenhäusern so gut wie möglich aufrechterhalten wird. Wichtig ist, dass die Kin-derarztpraxen gut zu erreichen sind, auch zwischen Weihnachten und Silvester. Und wenn die Krise vorbei ist, dürfen wir nicht zur Tagesordnung übergehen, sondern müssen in aller Klarheit und Offenheit beraten, was Bund, Länder und Krankenhausträger tun müssen, um die Krankenhäuser krisenfester zu machen.“

Dr. Doris Reinhardt
Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg:

„Seit Wochen arbeiten die kinderärztlichen und hausärztlichen Praxisteams weit über ihrer Belastungsgrenze. Die vielen schweren Atemwegserkrankungen vor allem der kleinsten Patienten nach 3 Jahren Pandemie bedeuten lange Praxistage, volle Wartezimmer und leider auch Wartezeit. Die Notfallpraxen der KV Baden-Württemberg sind an den Feiertagen ohne Voranmeldung geöffnet. Zur Ent-lastung der Kindernotfallpraxen können Eltern auch über die 116117 die telefonische Beratung durch Kinderärzte nutzen.“

Dr. med. Roland Fressle
Landesverband der Kinder- und Jugendärzte:

„Eine Mangelversorgung in der kinderärztlichen Versorgung gab es bereits vor dieser Infektwelle: Der Personalmangel bei MFAs und den NachwuchsärztInnen zusammen mit der Infektwelle, dem Mangel an Antibiotika, Fiebersäften und auch Diagnostikkits, z.B. zum Nachweis von Streptokokken, bringt nun das Fass zum überlaufen. Die Anstellung von Kinder- und JugendärztInnen in den Praxen wird durch eine Verhinderungsbürokratie aufgrund von immer noch einschrän-kenden Zulassungsbestimmungen erschwert. Unsere Arztpraxen sind perfekte
Einrichtungen zur ambulanten Versorgung und der von uns betriebene ärztliche Bereitschaftsdienst arbeitet schon jetzt an Abenden, Wochenenden und Feierta-gen. Einzig es fehlt an Wertschätzung, Unterstützung und Ausbau der vorhandenen Strukturen.“

Dr. Martin Braun
Präsident der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg:

„Um die Versorgung mit wichtigen Arzneimitteln wie Antibiotika und Fiebersäften für Kinder kurzfristig und unbürokratisch zu stabilisieren, dürfen wir nichts unver-sucht lassen. Dazu müssen die rechtlichen Hürden sofort gesenkt werden, bei-spielsweise um die Herstellung in der Apotheke zu erleichtern. In dieser schweren Zeit sollte der erhebliche Mehraufwand, der durch die derzeitigen Lieferengpässe entsteht, besser honoriert und außerdem die Retaxation aller Rezepte ausgesetzt werden. Das war schon einmal möglich, während Corona… Für die Apotheken ist es jetzt besonders wichtig, dass deren eigentliche Arbeit deutlich erleichtert wird anstatt durch noch weitere bürokratische Hürden an eben dieser Arbeit am Patienten gehindert zu werden.“

Johannes Bauernfeind
Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg:

„Die Versorgung mit Arzneimitteln gerade bei Kindern muss zu jeder Zeit sicher-gestellt werden. Reflexartig das Preisniveau in der GKV für den aktuellen Mangel verantwortlich zu machen, hilft mit Blick auf die Preise und Abgabe im freien Verkauf (OTC) den Betroffenen überhaupt nicht. Wir sehen derzeit bei Fiebersäften in erster Linie eine akute Verteilproblematik: Während in weiten Landesteilen keine Fiebersäfte vorhanden sind, wurden andere Lager überbevorratet. Es fehlt hier an klaren Richtlinien für eine versorgungsnahe Bevorratung sowie Transparenz entlang der gesamten Lieferkette. Kurzfristig müssen alle Beteiligten dazu beitragen, dass die Versorgung gezielter erfolgt und damit sichergestellt wird. Die Abgabe insbesondere von Fiebersäften durch Apotheken sollte sich am dringlichen Versorgungsbedarf orientieren und vorrangig auf Basis ärztlicher Verordnungen erfolgen. Die AOK Baden-Württemberg trägt ihren Teil dazu bei und übernimmt bereits seit Sommer dieses Jahres sowohl die Kosten für Rezepturen, verfügbare Importe sowie auch Mehrkosten für die noch verfügbaren Fertigarz-neimittel in vollem Umfang.“

Prof. Dr. med. Stefan Ehehalt
Amtsleiter Gesundheitsamt Stuttgart:

„Wie uns zahlreiche Rückmeldungen von betroffenen Familien zeigen, ist die Versorgungslage in der Kinder- und Jugendmedizin auch in einer Großstadt wie Stuttgart besorgniserregend. Daher koordinieren wir im Rahmen der Kommunalen Gesundheitskonferenz gemeinsam mit allen Akteur*innen einen Austausch hierzu. Schon jetzt steht fest: Bei der Lösung dieses gravierenden Problems bedarf es vielfältiger Ansätze, zum Teil auch neuer Modelle und auch einen langen Atem.“

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